Die Melancholie der amerikanischen Seele: Fondation Beyeler zeigt Edward Hopper als Landschaftsmaler
Riehen/Pforzheim. Er gilt als einer der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts, Urvater der amerikanischen Moderne. Dennoch wird Edward Hopper (1882-1967) oft unterschätzt, weil er in keine kunsthistorische Schublade passt. Und weil seine Bilder auf den ersten Blick so zugänglich scheinen. Sein faszinierender Einsatz von Farbwirkung, sein Spiel mit Licht und Schatten schaffen eine magische Atmosphäre. Ob auf Postkarten, Plakaten oder in der Werbung: Hoppers Einfluss auf Film und Popkultur ist so immens, dass man glaubt, sein Werk genau zu kennen, ohne es tatsächlich je bei einer Ausstellung gesehen zu haben. Zumal er in Europa selten gezeigt wird, in Deutschland zuletzt vor 15 Jahren im Museum Ludwig in Köln.
Die in der Organisation veritabler Blockbuster versierte Fondation Beyeler in Riehen bei Basel sorgt nun für Abhilfe. Und um es vorwegzunehmen: Nein, die „Mona Lisa“ Hoppers, die stimmungsvoll ausgeleuchtete urbane Bar-Szene „Nighthawks“ wird nicht gezeigt. Ebensowenig andere Ölgemälde städtischen Lebens. Genau darin sieht Sam Keller eine große Chance. Der Beyeler-Direktor präsentiert mit seinem Kurator Ulf Küster eine Ausstellung, die gerade jetzt zu einem Zeitgeist passt, in dem der Mensch die existenzielle Bedeutung seines Bezugs zur Natur stärker hinterfragt.
Die Fondation zeigt bis 17. Mai erstmals Hoppers Blick auf die amerikanische Landschaft: 65 teils ikonische Gemälde in Öl – zwei davon hat sich Barack Obama ins Oval Office geholt – sowie eine Auswahl an Aquarellen und Zeichnungen geben Einblicke in die melancholische Seite der amerikanischen Seele. In seinem langen Leben hat Hopper ein vergleichsweise schmales Werk von 366 Gemälden geschaffen, so Keller bei der Vorstellung der Schau. Darunter aber viele Landschaftsbilder.
Und die hat Hopper geometrisch klar komponiert: Häuser sind Sinnbilder für menschliche Besiedlung. Eisenbahnen strukturieren die Gemälde horizontal und stehen für das Streben des Menschen, die Weite des Raumes zu durchmessen („Railroad Sunset“, 1929). Ein ausgedehnter Himmel ebenso wie ein strahlender Mittag und das Licht der Dämmerung machen die Größe der sich wandelnden Natur anschaulich. So wird ein Leuchtturm zu einem Bezugspunkt in der Weite der hügeligen Küste. Doch das Meer lässt der Maler weg, es liegt im Verborgenen („Lighthouse Hill“, 1927). Hopper suggeriere oft, dass es etwas viel Größeres gebe als eine Aussicht in die Weite, so Küster.
Melancholie und Einsamkeit prägen die in Riehen zu sehenden Werke. Sie zeugen von einer Sehnsucht nach Ruhe, Sinnlichkeit und erfülltem Leben. Doch oft vermitteln sie das Gefühl von Schauer und Bedrohung. Jenseits des Blickfelds lauert die potenzielle Gefahr. Beispielhaft dafür ist das Gemälde „Cape Cod Morning“ (1950): Darin schaut eine Frau aus dem Erker gespannt in die Ferne, im Hintergrund ein dunkler Wald – auf den ersten Blick eine nette Alltagsszene, doch dann kommen die Fragen: Wo schaut sie hin? Was erwartet sie? Was lauert im unheimlichen Wald? Diese Frage wirft auch das berühmte Gemälde „Gas“ (1940) auf. Es zeigt eine von Kunstlicht illuminierte Tankstelle an einer Landstraße, dahinter wieder undurchdringlicher Wald. Den sichtbaren Landschaften Hoppers stehen immer unsichtbare, subjektive Bilder im Inneren des Betrachters gegenüber. „Er hält die Dinge in der Schwebe“, sagt Keller. So begibt sich die Schau mit dem Künstler auf die Suche nach etwas Tieferem und will vordringen zum Wesen der Dinge.
Der Blick Hoppers auf das Unbegrenzte, Verborgene wurde vor allem im Kino enorm populär. Ob in Alfred Hitchcocks „Psycho“-Haus, Wim Wenders’ „Paris, Texas“ (1984) oder in den geheimnisvollen Räumen von David Lynch.
„Die poetische Qualität von 3D ist im Kino unter die Räder gekommen“
Einer der größten Hopper-Fans ist der Regisseur Wim Wenders. Er hat für die Ausstellung einen 15-minütigen 3D-Film gedreht, eine Hommage an Hopper, der ihn wie kaum ein anderer beeinflusst habe, sagte Wenders in Riehen. Der Film schreibt einige Szenen aus Hoppers Bildern fort und zeigt die Sujets des Malers aus anderer Perspektive. „Die Bilder sagen: Es passiert gleich etwas“, so Wenders. Was, liegt sowohl bei den Gemälden als auch im Film in der Fantasie des Betrachters. Beide Künstler spielen mit der Erwartungshaltung. „In dem Moment, wo man anfängt zu erzählen, bricht man ab“, sagte Wenders.
Und der Zuschauer spinne sich den Film selbst weiter. Kopfkino eben.
Wenige Maler hätten derart filmisch gedacht und gearbeitet, was Format, Figuren und Licht angeht. So habe Hopper das Lebensgefühl der USA einer Zeit geprägt, in der er Filmemacher beeinflusst habe. Und umgekehrt, so Wenders. In einem merkwürdigen Kreislauf. „Dieser Mann hat Amerika mit erfunden.“ Um an Hoppers Vielschichtigkeit heranzukommen, hat Wenders in dreidimensionalen Bildern gedreht. Und outet sich als Fan von 3D – jedoch auf seine Weise. Mit Tiefe statt Action. „Alles, was im Kino gezeigt wird, fliegt einem um die Ohren. Die poetische Qualität von 3D ist dort unter die Räder gekommen“, so Wenders. Die funktioniere besser im Museum.
